erobern

Ist das unsere Passion?

Gern verschweigen Eroberer, dass sie nicht nur das eigene Weltbild zu den Eroberten transportieren, sondern deren Weltbilder und Lebensweisen, ob sie wollen oder nicht, auch in ihr eigenes übernehmen. Dieser Vorgang ist auf lange Sicht wahrscheinlich sogar noch eindringlicher. Neue Potentiale und Gleichgewichte entstehen daraus, in denen sich Eroberer und Eroberte gleichermaßen und so gut wie möglich einrichten.

Für folgenschwerer halte ich bei militärischen Konflikten die Versuche, an den Feind Verlorenes zurückzuerobern und im Falle schneller Siege die hasserfüllte Vergeltung. In beiden Fällen verlieren die Überlebenden dauerhaft das seelische Gleichgewicht und die Aussicht, es irgendwann wiederzufinden.

Wer oder was bringt uns bloß zu der Überzeugung, diesmal könnte es für Palästinenser und Israelitinnen, Ukrainerinnen und Russen anders sein? Wer oder was täuscht uns immer wieder mit der Vorstellung, irgendwelche Ideen und Interessen könnten es wert sein, für sie das eigene Leben zu opfern? Denken wir, deswegen würden wir uns in irgendeinem Jenseits wiederfinden?

Apropos: Putins Vision, über Leid und Leichen hinweg einmal das Gebiet von Wladiwostok bis Lissabon unter eine Obhut zu bringen, halte ich gar nicht für so verschieden von der Wachstumslust der westlichen Industrienationen hinein in die unermesslichen, ressourcenreichen Weiten jenseits des Ural.

Großvaters 122. Geburtstag

Heute vor 122 Jahren wurde Großvater, mein „Opa“, geboren. Mit Dreizehn lauschte ich im gemeinsamen Schlafzimmer seinem Atem. Wenn er manchmal stockte, hatte ich Angst, er könnte sterben. Er hatte erzählt, dass ihm nach einer Lungenentzündung in jungen Jahren und einem Magengeschwür ein Arzt gesagt habe, er könne sich freuen, wenn er seinen 50. Geburtstag erlebe. Inzwischen war er Sechzig. Ich rettete mich mit dem Gedanken, dass die Großmutter dann noch da war. Ohne sie wollte ich auf keinen Fall weiterleben, ohne ihn noch eher. Weiterlesen

„documenta fifteen“ 8

UPDATE 2023

Die Zumutungen der documenta fifteen liegen mehr als ein Jahr zurück. Sie waren so eindrucksvoll, dass ich anders heimfuhr, als ich angereist war. In erschütternden Zeiten bekam ich mit lumbung wieder Lust auf Zukunft. In meinem Resümee zitierte ich aus dem „Handbuch“ zur Kunstschau: „Idealerweise kann lumbung ein Modell sein, das viele Menschen besitzen, anpassen, entwickeln und benutzen können.“ Weiterlesen

Kann Selenskyj bleiben?

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Im Deutschlandfunk berichtet die Journalistin Karina Beigelzimer in der Sendung „Europa heute“ über Proteste, die es in Odessa seit dem 3. September und inzwischen auch in Kiew, Lemberg und Riwne gibt. „Alles hat mit der Bekanntgabe der Stadtverwaltung von Odessa begonnen, die für mehr als umgerechnet 2,7 Millionen Euro die Renovierung des Bezirksgerichts beschlossen hat. Das löste einen Aufschrei aus. Die Menschen in Odessa waren empört über diese Ausgaben, während an der Front Schutzausrüstungen fehlen.“ Weiterlesen