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Vom Invalidenplatz aus ging und fuhr ich an jenem 3. Juni auf direktem Weg zu einer Veranstaltung zu Ehren des Berliner Theaterwissenschaftlers Joachim Fiebach in die „Kulturbrauerei“ im Prenzlauer Berg. Mein Freund Andreas war einer der dort Vortragenden, ebenso Stefan Suschke, der Anfang der 1980er Jahre bei Fiebach studierte. Anschließend wurde er Schauspieldramaturg in Greifswald bis zum Ende der DDR, in den 1990er Jahren ein enger Mitarbeiter des Dramatikers und Regisseurs Heiner Müller und von 1997 bis 1999 künstlerischer Leiter des Berliner Ensembles. Zur Zeit ist Suschke Schauspieldirektor am Landestheater Linz. Weiterlesen

erobern

Ist das unsere Passion?

Gern verschweigen Eroberer, dass sie nicht nur das eigene Weltbild zu den Eroberten transportieren, sondern deren Weltbilder und Lebensweisen, ob sie wollen oder nicht, auch in ihr eigenes übernehmen. Dieser Vorgang ist auf lange Sicht wahrscheinlich sogar noch eindringlicher. Neue Potentiale und Gleichgewichte entstehen daraus, in denen sich Eroberer und Eroberte gleichermaßen und so gut wie möglich einrichten.

Für folgenschwerer halte ich bei militärischen Konflikten die Versuche, an den Feind Verlorenes zurückzuerobern und im Falle schneller Siege die hasserfüllte Vergeltung. In beiden Fällen verlieren die Überlebenden dauerhaft das seelische Gleichgewicht und die Aussicht, es irgendwann wiederzufinden.

Wer oder was bringt uns bloß zu der Überzeugung, diesmal könnte es für Palästinenser und Israelitinnen, Ukrainerinnen und Russen anders sein? Wer oder was täuscht uns immer wieder mit der Vorstellung, irgendwelche Ideen und Interessen könnten es wert sein, für sie das eigene Leben zu opfern? Denken wir, deswegen würden wir uns in irgendeinem Jenseits wiederfinden?

Apropos: Putins Vision, über Leid und Leichen hinweg einmal das Gebiet von Wladiwostok bis Lissabon unter eine Obhut zu bringen, halte ich gar nicht für so verschieden von der Wachstumslust der westlichen Industrienationen hinein in die unermesslichen, ressourcenreichen Weiten jenseits des Ural.

Großvaters 122. Geburtstag

Heute vor 122 Jahren wurde Großvater, mein „Opa“, geboren. Mit Dreizehn lauschte ich im gemeinsamen Schlafzimmer seinem Atem. Wenn er manchmal stockte, hatte ich Angst, er könnte sterben. Er hatte erzählt, dass ihm nach einer Lungenentzündung in jungen Jahren und einem Magengeschwür ein Arzt gesagt habe, er könne sich freuen, wenn er seinen 50. Geburtstag erlebe. Inzwischen war er Sechzig. Ich rettete mich mit dem Gedanken, dass die Großmutter dann noch da war. Ohne sie wollte ich auf keinen Fall weiterleben, ohne ihn noch eher. Weiterlesen